Die Bidirektional-Lüge
- Dennis Häbel
- vor 2 Tagen
- 4 Min. Lesezeit

Bidirektionales Laden – also das Hin- und Herladen von Strom zwischen Elektroauto und Stromnetz oder Haus – wird oft als nächster großer Schritt der Energiewende angepriesen. Stellen Sie sich vor, Ihr E-Auto speichert mittags überschüssigen Solarstrom und abends versorgt es Ihr Haus oder speist Energie ins Netz – eine geniale Idee für alle Photovoltaik-Besitzer. Doch in Deutschland ist diese Vision derzeit weit von der Realität entfernt. In diesem Beitrag erklären wir Ihnen, warum bidirektionales Laden hierzulande noch nicht praxistauglich ist und räumen mit einigen Mythen auf.
Was bedeutet bidirektionales Laden?
Beim bidirektionalen Laden kann elektrischer Strom in zwei Richtungen fließen: Einerseits wird die Batterie eines Elektroautos geladen (Strom ins Auto), andererseits kann gespeicherter Strom bei Bedarf aus dem Auto wieder herausfließen. Im Wesentlichen gibt es drei Anwendungsfälle dafür:
Vehicle-to-Load (V2L): Das E-Auto versorgt direkt Geräte mit Strom (wie eine mobile Powerbank, z.B. um Werkzeuge oder Campinggeräte zu betreiben).
Vehicle-to-Home (V2H): Das E-Auto ist an die heimische Wallbox angeschlossen und speist Energie ins Hausnetz ein, um Ihren Haushalt zu versorgen (etwa abends oder bei Stromausfall). So könnte man Solarstrom vom Tag in der Nacht nutzen.
Vehicle-to-Grid (V2G): Das E-Auto speist Strom ins öffentliche Stromnetz zurück. Die Vision: Viele Autos könnten gemeinsam als virtuelles Kraftwerk dienen und z.B. Lastspitzen abpuffern.
Damit dies funktioniert, müssen elektrische Komponenten zusammenarbeiten. Zum Laden wandelt entweder das Fahrzeug oder eine spezielle bidirektionale Wallbox den Wechselstrom des Netzes in Gleichstrom für die Batterie um – und beim Entladen umgekehrt wieder zurück in Wechselstrom. Technisch ist das also machbar, und einige neue Fahrzeuge werben bereits mit entsprechenden Fähigkeiten. Warum also nicht sofort loslegen? Hier kommt die Kehrseite ins Spiel.
Warum hapert es in Deutschland an der Umsetzung?
Ein Elektroauto speist ein Haus mit Strom – in der Praxis ist das in Deutschland derzeit noch Zukunftsmusik.
Obwohl die Idee bestechend ist, gibt es zahlreiche Hürden, die bidirektionales Laden in Deutschland aktuell zur Ausnahme machen.
Die wichtigsten Gründe im Überblick:
Kaum verfügbare Technik: Nur sehr wenige E-Autos und Ladestationen sind bislang überhaupt für bidirektionales Laden ausgerüstet. Die meisten aktuellen Elektrofahrzeuge unterstützen keine Rückspeisung – ihr Bordladegerät und Batteriemanagement sind primär fürs Fahren ausgelegt, nicht für einen dauerhaften 24/7-Batteriebetrieb. Ebenso fehlt es an erschwinglichen bidirektionalen Wallboxen auf dem Markt.
Fehlende Regulatorik: Rechtlich steckt das Thema noch in den Kinderschuhen. Zwar ist bidirektionales Laden in Deutschland grundsätzlich erlaubt, aber es bestehen viele Unklarheiten und Regulierungslücken. Elektroautos, die als Speicher dienen, fallen im aktuellen Energierecht durch’s Raster – der Rechtsrahmen passt nicht richtig. Beispielsweise gibt es noch keine klaren Richtlinien, wie Netzentgelte oder Steuern abgerechnet werden sollen. Im schlimmsten Fall zahlt man derzeit doppelt: einmal beim Laden des Autos und erneut bei Rückeinspeisung ins Netz. Diese fehlenden Normen und Regeln bremsen Hersteller und Verbraucher gleichermaßen.
Batterielebensdauer und Garantie: Das häufige Be- und Entladen der Autobatterie im bidirektionalen Betrieb weckt Sorgen um eine verkürzte Lebensdauer. Tatsächlich sind Traktionsbatterien von E-Autos auf vergleichsweise wenige Ladezyklen optimiert: Nach etwa 1.000 Zyklen kann bereits 20–30 % Kapazität verloren gehen. Stationäre Hausspeicher schaffen oft ein Vielfaches an Zyklen. Verständlich, dass Autohersteller hier zögern – bislang gibt es keine klaren Zusagen, wie sich bidirektionales Laden auf die Batteriegarantie auswirkt. Viele Hersteller befürchten unerwartete Gewährleistungsansprüche und halten sich deshalb (noch) zurück.
Wirtschaftlichkeit ungewiss: Selbst wenn Technik und Gesetz morgen bereit wären, stellt sich die Frage: Lohnt es sich überhaupt? Derzeit sind bidirektionale Systeme teuer. Eine V2G-fähige DC-Wallbox etwa wird anfangs voraussichtlich drei- bis viermal so viel kosten wie eine normale Heim-Ladestation. Auch die Fahrzeugtechnik (leistungsfähigere Onboard-Inverter, Kommunikationseinheiten etc.) verursacht Mehrkosten. Diese Investitionen muss man erst einmal wieder hereinholen – durch genügend gespeisten Strom und ausreichend große Preisunterschiede. In privaten Haushalten mit PV-Anlage lässt sich durch Eigenverbrauchsoptimierung zwar Geld sparen, jedoch sind die potenziellen Gewinne im Vergleich zur Investition momentan fraglich. Ohne attraktive Tarife oder Vergütungsmodelle und sinkende Hardwarepreise bleibt bidirektionales Laden vorerst ein teures Hobby.
Fazit: Geduld ist gefragt
Die Vision vom E-Auto als flexiblem Hausspeicher und Notstromaggregat fasziniert viele – gerade Photovoltaik-Besitzer, die ihren Eigenverbrauch maximieren möchten. Doch aktuell hinkt Deutschland der Entwicklung noch hinterher. Weder ist die Technologie im Massenmarkt angekommen, noch sind die Rahmenbedingungen geklärt. Experten gehen davon aus, dass frühestens in einigen Jahren die nötigen Standards, Fahrzeuge und Geschäftsmodelle breit verfügbar sein werden – realistischerweise gegen Ende des Jahrzehnts.
Bis dahin bleibt bidirektionales Laden hierzulande eine Zukunftsoption. Es lohnt sich, die weiteren Entwicklungen im Auge zu behalten – die Automobil- und Energiebranche arbeiten bereits an Lösungen. Für den Moment jedoch gilt: Wer heute schon überschüssigen Solarstrom speichern und nutzen will, fährt mit einem herkömmlichen stationären Batteriespeicher für sein Haus deutlich besser. Die „Bidirektional-Revolution“ ist zwar keine Lüge im wörtlichen Sinn, aber viele Versprechungen dazu erweisen sich 2025 noch als verfrüht. Bleiben Sie also skeptisch gegenüber allzu euphorischen Aussagen – und freuen Sie sich auf den Tag, an dem Ihr E-Auto wirklich zum Stromlieferanten werden kann.
Wir bleiben optimistisch: Der Weg zu praxistauglichem bidirektionalem Laden ist eingeschlagen – Standards, Tarife und Produkte entwickeln sich spürbar weiter. Sobald Technik, Recht und Gewährleistung verlässlich zusammenspielen, wird bidirektionales Laden eine starke Ergänzung für PV‑Anlagen.
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Sonnige Grüße
Ihr PV-Berater Dennis Häbel
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